Montag, 4. Oktober 2021

Einmal Stift Stams und zurück .....

 
 
 
 ..... hatten wir NICHT gesagt, als wir am Freitag, 01.10.2021, bei strahlendem Sonnenschein einen Ausflug mit öffentlichen Bussen nach Österreich machen wollten.
Sondern: Ein "Tages-Ticket 2Plus" bitte. Damit können zwei Erwachsene, ggf. mit bis zu 3 Kindern, einen Tag lang durch Tirol reisen. (Nordtirol natürlich nur; es gibt jedoch auch eine Tageskarte "Euregio2Plus Tages-Ticket", die für Nord- und Südtirol zusammen gilt.)
 
Wir hätten in alten Zeiten
Von Füssen nach Stams müssen reiten.
So macht das hier unten der kriegerische Graf Meinhard II., der das Land Tirol im 13. Jahrhundert als territoriale Einheit begründet hatte:
 
Dieser Graf hatte, gemeinsam mit seiner Ehefrau Elisabeth, auch das Kloster Stams gestiftet.
Aber warum hätte jemand, in Zeiten, als es noch keinen Tourismus gab, von Füssen nach Stams reisen sollen?

EINE Möglichkeit wäre eine Pilgerfahrt gewesen. Solche Reisen dürften die Vorläufer des Tourismus gewesen sein. Und bestimmt wurden sie nicht immer (nur) aus frommen Gründen unternommen.
  Die Pfarrkirche zum hl. Johannes dem Täufer (ausführliche Beschreibung auf der Webseite der Pfarrgemeinde) war im Mittelalter eine Wallfahrtsstätte, weil sie einen Finger ihres Schutzpatrons besaß. Zudem soll es justament derjenige Finger gewesen sein, der auf Jesus gezeigt hatte: Mit solchen Stories lockt man Pilgermassen an! Der Finger ist mittlerweile futsch, jedoch hat sich wohl irgendwo noch ein Knochen gefunden, den man dem Heiligen zuschreiben konnte. Jedenfalls  besitzt die Kirche seit 2006 wieder ein Partikel von ihrem Heiligen. Interessant ist, beiläufig bemerkt, dass man diese Information nicht auf der Pfarrgemeindeseite erhält (der Kirche sind solche wunderlichen Geschichten mittlerweile wohl eher peinlich), sondern auf der Webseite der politischen Gemeinde Stams.
 
Ein anderer denkbarer Reisegrund wäre, dass jemand seine Miete bezahlen wollte. Das Kloster Stams besaß in Füssen nämlich 4 Häuser. Weiß der Teufel, auf welche Weise die in den Besitz des Klosters gelangt waren. Wahrscheinlich durch fromme Stiftungen, von Adeligen oder auch von reichen Bürgern. 
Solche Klöster hatten häufig einen weit verstreuten Besitz. Das Kloster Steingaden z. B. war im unteren Vinschgau begütert; ebenso das Kloster Weingarten bei Ravensberg. 
Spannende Frage, auf welche Weise die Einkünfte damals zum Kloster transferiert wurden: Durch persönliche Überbringung des Zahlungspflichtigen wohl eher nicht. Aber wie sonst, damals, als es noch kein modernes Bankwesen gab?

Jedenfalls: DASS das Geld irgendwie in den Klöstern angekommen sein muss, beweisen (im Stams wie anderswo im süddeutschen Raum, u. a. auch in Füssen) die ausgedehnten Klosteranlagen mit ihren (heute mit Staatsknete sanierten; die Abtei ist nicht mehr so wohlhabend) schmucken Gebäuden:
Die Klosteranlage; der schmucke Giebel in der rechten Bildhälfte gehört zur Klosterkirche (die kirchenrechtlich den Ehrentitel einer "Basilica minor" trägt). 
 
Was wie ein Kirchturm aussieht (rechts im Hintergrund, hier aus einer etwas anderen Perspektive und näher herangezoomt) .....
 
..... ist lediglich ein bescheidener Dachreiter. Zisterzienserklöster, wie dieses eins ist, durften keine Kirchtürme haben. Überhaupt sollten sie sehr einfach gebaut sein; aber schon im Barock wussten die Äbte offenbar: "Bescheidenheit ist eine Zier, doch weiter kommt man ohne ihr". (Wir wären ja auch nicht hingefahren, wenn uns nicht gerade die Prachtbauten angelockt hätten.) Auch hier haben die Mönche eindrucksvolle Türme errichtet (man wollte wohl nicht hinter anderen Klöstern zurückstehen). Aber mit rabbulistischer List haben sie diese Türme nicht an die Kirche gebaut, sondern an die Nordfront der Klostergebäude. (Deutlich sichtbar werden die räumlichen Zusammenhänge z. B. auf dieser "Luftaufnahme" des Klosterkomplexes. Oder im Grundriss des Klosters, abgebildet in der Masterarbeit "Form, Funktion und Bedeutung der Kapitelsäle österreichischer Zisterzienserklöster" auf S. 116.) Dadurch waren es keine "Kirchtürme" und somit vermutlich auch nicht von den Ordensregeln verboten.
 
Wahrgenommen werden sie dennoch als solche. 
So flunkert der BAEDEKER (der also auch nicht mehr so zuverlässig ist, wie er das einstmals gewesen sein soll) in seinem Österreich-Band von 2000: "Die Stiftskirche ....., kenntlich an den beiden markanten Türmen ....." (S. 219). 
Und der Wikipedia-Eintrag über den Bauherrn phantasiert: "Edmund Zoz betrieb als Abt eine rege Bautätigkeit. So wurden von ihm die beiden markanten Zwiebeltürme geschaffen, die der Klosterkirche von Stams ihr charakteristisches Aussehen geben."
 
Wie auch immer, schön sind die zwei Zwiebeltürme allemal:
 

Doch muss ich noch einmal auf die Klosterkirche zurückkommen. Die große Kuppel mit der schmucken "Laterne" rechts außen im Bild gehört NICHT dazu. Sondern zu der ihr südlich angebauten "Heilig-Blut-Kapelle", die wir hier noch einmal ganz nahe heranzoomen:
 
 
Die Frontalaufnahme zeigt, dass diese Kapelle gegenüber der Kirchenfassade stark hervorspringt:
 
Das österreichische Bundesdenkmalamt hatte ihr im Oktober 2015 einen ausführlichen Artikel gewidmet. Gerüstet mit einem Zitat daraus:
"Gegen die Vorhalle der Stiftskirche wird die Heilig-Blut-Kapelle durch das vielgerühmte Rosengitter abgeschlossen. Dieses 1716 vom Silzer Schlosser Bernhard Bachnetzer geschaffene Gitter aus Rauten mit Bünden im unteren, sowie Ranken- und Blattwerk mit erblühenden goldenen Rosen im oberen Teil gehört überhaupt zum Besten, was die Österreichische Kunstgeschichte auf dem Gebiet des Kunsthandwerks zu bieten hat"
betreten wir nun die Vorhalle der Stiftskirche. Wenn wir diesen Blickwinkel wählen, haben wir das berühmte Rosengitter im Rücken:
 
 
Meine Fotos vom Rosengitter (zur Entstehung vgl. Webseite des Klosters) waren fast alle misslungen; dieser Ausschnitt gibt aber vielleicht eine Vorstellung davon, wie diese Meisterleistung der Schmiedekunst aussieht:
Eindrucksvoller ist freilich diese Aufnahme im Internet. Oder auch dieses alte schwarz-weiß-Foto. Informative Detailfotos (vorher/nachher) von einer Restaurierung im Jahr 2015 wurden hier online gestellt.

Die Klosterkirche "Unserer Lieben Frau" kann man als Tourist nur im Rahmen einer Führung besichtigen. Außerhalb der Saison ist die Nachfrage dafür wohl gering; jedenfalls finden solche Führungen von Oktober bis Mai nur einmal in der Woche statt. Wir mussten also draußen bleiben und konnten nur durchs Gitter gucken; im folgenden Bild zunächst von der rechten Seite aus.

 
Näher herangezoomt, sieht der Altarraum so aus (das Geranke im Hintergrund ist ein "Lebensbaum" [einen anderen, auf die Außenseite einer Kirche gemalt, hatten wir kürzlich in Wasserburg am Inn gesehen]; aus größerer Nähe aufgenommen und mit einer Erläuterung versehen findet man ihn hier im Web; eine Erklärung ohne Abbildung gibt es auch auf der Stiftsseite.
 
 
Einen Blick durch die Mitte der Basilika auf den Altar verwehrt uns ein großes Kruzifix, das über die Fürstengruft (auch "Österreichisches Grab" genannt) wacht:

Blattgold ist ja extrem dünn; aber insgesamt wurden zur Ausschmückung der Kirche dann doch 6 Kilogramm verwendet (S. 4). (Kilopreis Gold per 04.10.2021 = 48.830,88 EUR. Wie sich daraus der Preis von Blattgold errechnet, weiß ich nicht; das dürfte allerdings auch von der Reinheit bzw. Legierung des Goldes abhängen. Aber jedenfalls ist das Ergebnis beispielsweise bei dieser Kanzel schon beeindruckend:
 
 
  
 
 
 
Beim Verlassen der Vorhalle füttern wir unsere Augen mit den Licht-Spielen an einem Altar auf der dem Rosengitter gegenüberliegenden Schmalseite der Halle, der ebenfalls hinter Gittern eingeschlossen ist: :
 
 
Draußen gibt es noch einiges zu sehen; z. B. den wilden Reiter Meinhard in einer anderen Fotokomposition:
 
 
Der Mittelbau (oben mit Graf Meinhard drauf) und wohl Haupteingang des Klosters:
 

Bäume im Vorhof des Stifts rahmen freundlicher Weise für meine Aufnahme den verspielt-schmucken Basilikaeingang ein:
 
 
Ungewöhnlich groß für ein normales Pfarrhaus ist das "Widum" nahe der Pfarrkirche. Vielleicht wurde es früher auch für das Kloster genutzt; darüber konnte ich keine Informationen finden. Jedenfalls gehört es zu den denkmalgeschützten Objekten im Ort:
 

Weil wir überhaupt erst um die Mittagszeit angekommen waren, mussten die kulturellen Genüssen den leiblichen den Vortritt lassen. (Aber das kann ich Ihnen als kultivierten Lesern ja nicht zumuten, dass ich die Fresserei vor dem Kulturgenuss präsentiere.😄) Wir haben unsere Einkehr in dem von zahlreichen Google-Rezensenten sehr gut bewerteten Gasthaus "Alte Schmiede" nicht bereut:
 
 
 Bei diesem Wetter haben wir natürlich draußen gesessen und gegessen; aber für kalte oder regnerische Tage kann man die urigen Innenräume nur empfehlen.

Malerisch ist auch die Rückseite des Gebäudes:

Um die zu erreichen, muss man durch eine Art "Stadttor" gehen:

Verteidigungsfähige Stadtmauern hatte das kleine Dörflein vermutlich nicht; aber herumstreunendem Gesindel versperrten solche Tore den Zugang; im (bergseitigen) Süd-Osten entdeckte meine Kamera-Linse ein weiteres:



Nicht nur die eigentlichen Klostergebäude sind liebevoll mit architektonischen Zierelementen dekoriert, sondern auch dieses Vorgebäude, das zudem eine große Sonnenuhr zeigt. Das Stift hat deren noch weitere; darüber berichtet (was es nicht alles gibt!😁) ein Artikel in der Zeitschrift "Sonne und Zeit":
 
Das Gebäude hat mich so fasziniert, dass ich es von verschiedenen Standorten aus geknipst habe. Vor diesem Haus ist übrigens die Haltestelle für Schulbusse (daher auf dem folgenden Bild einige warteene Schüler sichtbar) und regulären Personenverkehr; dort sind auch wir aus- und für die Rückfahrt wieder eingestiegen.
 
Die Dorfstraße steigt hier zum Berg hin an; auch von einer höheren Stelle aus ist dieses Torhaus sehr fotogen (jedenfalls bei strahlendem Sonnenschein):
 
 
Sehr zahlreiche und gute Detailaufnahmen (von 2008) bietet diese Webseite.
 
Ebenso der Blog der Innsbrucker Tourist Information in dem Beitrag "Stift Stams" vom 10.03.2018.
Auch das Magazin Welcome Innsbruck vom Sommer 2018, berichtet (auf Deutsch und Englisch) über das Stift (S. 40 ff.)
Mehr über die weltliche Dimension des Klosterlebens (z. B. den heutigen Mangel an Geld und den einstigen Trick mit den Türmen) erfährt man in dem Tiroler Urlaubsmagazin Ferienhoch.at, Ausgabe 2011, S. 4 ff.

Fachlich präzise werden Baugeschichte und Kunstschätze des Klosters auf der Webseite des virtuellen "Museum with no frontiers" (Wikipedia englisch) beschrieben (und natürlich mit Fotos unterlegt), das von der Österreicherin Eva Schubert gegründet wurde und geleitet wird.

Eine Reihe von Fotos, die man anderswo nicht findet, bietet der Artikel "Stift Stams Führungen, Sehenswürdigkeiten Tipps" des Blogs Travel Continent. 
 
 
 
ceterum censeo
Wer alle Immiggressoren der Welt in sein Land lässt, der ist nicht "weltoffen":
Der hat den A.... offen!

Textstand 17.10.2021

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