Samstag, 1. August 2020

Aus Versehen Mindelheim gesehen

Eigentlich hätte ich es wissen müssen: dass wir in Biessenhofen den 3-Minuten-Anschluss nach Kempten verpassen würden. Denn das war uns schon früher passiert, als meine Frau in Kempten einen Arzt aufsuchen wollte.
Eigentlich wollten wir an diesem wunderwetterschönen Mittwoch, 29.07.2020, eine "Auslandsreise" unternehmen: Nach Leutkirch in Baden-Württemberg. Mit der Bahn von Füssen über Kempten und Memmingen.


Jedenfalls sahen wir, noch im Ausgangszug (Strecke Füssen-Augsburg) sitzend,  unseren Anschlusszug enteilen und mussten auf die Schnelle umplanen. Wir entschieden uns, bis Buchloe weiterzufahren - und dann nach MINDELHEIM.

Eigentlich hätten wir uns die Fahrt sparen können. Denn Walter war schon vor uns dort - und hat uns beinahe alles schon weggeknipst. Er hat sogar viel mehr gesehen als wir, denn zur "Mindelburg", einstmals Residenz des Felderrn Georg von Frundsberg (Wikipedia), sind wir nicht hochgeklettert. Aber weil wir zu einer anderen Jahreszeit gereist sind, blieb doch noch ein wenig für uns zu entdecken übrig. 😎

Es ist nicht so, dass Mindelheim terra incognita für mich gewesen wäre.  Noch aus uralten Schulzeiten kannte ich die vier Eiszeiten (in Süddeutschland): Günz, Mindel, Riss und Würm. Das sind zwar Flussnamen; aber an einem dieser Flüsschen liegt eben Mindel-Heim.
Auch diese Stadt stand längst auf meiner "Colt-Liste" (bei jeder neuen "Stadteroberung" ritze ich gedanklich eine Kerbe in meinen hypothetischen Colt-Griff😈). Ich hatte also im Internet bereits einiges drüber gelesen - und war sogar schon mal dort gewesen - jedoch ohne damals viel von der Stadt zu sehen.

Mit einer "Bahnhofstraße" verbinde ich eigentlich die Vorstellung einer Geschäftsstraße, die sie in den meisten Orten wohl auch ist. Nicht so in Mindelheim: Dort ist es eine verkehrsarme Wohnstraße (und im Verhältnis zur Größe der Altstadt eine relativ lange). Zur "Gründerzeit", also "zu Kaisers Zeiten" (1872 entstand die Zugstrecke von Buchloe nach Memmingen) muss das eine schicke Wohngegend gewesen sein; mich jedenfalls begeisterten die sonnengesättigten Häuser insbesondere auf der nördlichen Seite. (Dass diese Häuser zu Baudenkmälern erklärt worden sind, gefällt mir freilich weniger. Der Verdenkmalung - und damit der Petrifizierung - unserer Welt, die beinahe jedes alte Sch'haus unter Schutz stellt, stehe ich denkbar kritisch gegenüber.)
Indes: Zum Fotografieren konnten mich die hübschen Hütten (noch) nicht begeistern. Wir waren um 5 Uhr aufgestanden, und als wir gegen 11.30 Uhr ankamen, hing mein Magen auf 1/2 8 und die Hände zu schwach, um die Kamera zu halten. 😞

Erst auf dem Rückweg habe ich sie dann aufgenommen, in großer Eile, weil wir den Zug erreichen mussten. 
Eigentlich zumindest, denn auch der fuhr uns vor der Nase weg. So saßen wir ca. eine Stunde auf dem Bahnsteig. Wegen des milden Wetters war das immerhin erträglich - wiewohl es uns diese Verzögerung beim Umsteigen später in Kaufbeuren eine weitere Wartestunde einbrockte.

Wie auch immer: hier nun die Bilder der "hübschen Hütten". 
Auffallend (und gefallend) sind der Mut zur Farbigkeit und der ausgezeichnete Zustand fast aller Fassaden. Hier (allgemein in Mindelheim, nicht zuletzt auch in der Innenstadt!) wettweifern die Bürger wohl darin, ihre Häuser zu verschönern und "in Schuss" zu halten.







 
Dieser etwas vernachlässigte Bau steht zurückgesetzt und am Eingang zur Stadt; einst beherbergte es eine "Lichtbildwerkstätte". 
Irgendwie bin ich ganz froh, dass auch ich die Zeit der "Lichtbilder" noch miterlebt habe: Wer sich an den alten analogen Kameras geschult hat, der stellt auch eine Digitalkamera nicht einfach auf Automatik, sondern versucht, mit der Einstellung von Blende, Verschlusszeit und (was damals nicht ging) der "Filmqualität" (DIN, ASA - heute ISO). (Nur am "Weißabgleich" fummele ich allenfalls ganz selten herum. Das gab es ja früher nicht und ist mir zu kompliziert und vor allem auch zu zeitraubend: Schließlich will man mit seiner Knipse ja knipsen!


Den größten Hunger stillte ein Eisbecher am Theater. Hingesetzt haben wir uns dort jedoch nicht; ich marschierte, Becher in der Hand, durch das Obere Tor in die Altstadt. Rechts in die Pfarrstraße abbiegend umrundete ich die Kirche St. Stephan ["pg" klingt wie "Parteigenosse"; steht aber hier für Pfarreiengemeinschaft], wo meine Frau, kultivierter als ich, ihr Eis auf einer Parkbank genoss.
Bis ich an der Kirchenapsis angelangt war, hatte ich meinen Eisbecher abgearbeitet und meine Hände wieder frei zum Fotografieren:



Vielleicht der schönste Turm in Mindelheim und ein markanter Orientierungspunkt ist derjenige der ehemaligen "Silvesterkapelle". Dort sind wir nicht vorbeigekommen; das Kapellengebäude selbst muss aber recht geräumig sein. Denn es enthält im Untergeschoss das Schwäbische Turmuhrenmuseum und im Obergeschoss den für Veranstaltungen genutzten (auch für Trauungen, aber recht nüchternen) "Silvestersaal".



Der, ich sage mal "klerikale Komplex", macht sich in Mindelheim ziemlich breit. 
Es hätte ganz anders kommen können: "Anna von Lodron war eine furchtlose Verfechterin der Reformation im katholischen Allgäu" erfahren wir auf der Webseite der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Anna war die Ehefrau von Georg von Pfrundsberg, einem der Heerführer von Kaiser Karl V. und Landesherrn des Mindelheimer Territoriums, der auf der Mindelburg residierte (Burg- und Territorialgeschichte; Stadtgeschichte hier; auch ein Blogger hat sich intensiv in die, wie er meint, "Wilde Geschichte" des Ortes eingegraben).

Der Frundsberg war ein kluger Kopf (Drei Dinge sollten jedermann vom Krieg abschrecken: Die Verderbung und Unterdrückung der armen, unschuldigen Leute, das unordentliche und sträfliche Leben der Kriegsknechte und die Undankbarkeit der Fürsten“). 
Sein Wikipedia-Stichwort behauptet, dass er sich "der neuen Glaubenslehre" angeschlossen habe. Dagegen heißt es auf der Webseite der evangelischen Gemeinde in Mindelheim (wohl zutreffend): "Unser Stadtvater Georg von Frundsberg, obschon mit Luther bekannt ["Mönchlein, Mönchlein, du gehst einen schweren Gang" - br.] und der neuen Lehre nicht abgeneigt, brach seinerseits nicht mit der Römisch-Katholischen Kirche." Aber jedenfalls ließ er seine Ehefrau gewähren. Doch als sie nach dem Tode ihres Gemahls wegzog, begann "ein katholisches Roll-back". Und das derart gründlich, dass ein guter Teil der Altstadtfläche in (katholisch-)kirchlichen Händen war.
 
Rund um die Stephanskirche gruppieren sich die hier mit ihrer nördlichen Seitenwand sichtbare 2-geschossige "Gruftkapelle" ....

..... deren unterer (geöffneter) Raum "Maria Schnee" heißt (nachfolgende zwei Fotos) und das Obergeschoss (nur im Rahmen von Stadtführungen zugänglich: "Michaelskapelle".



Sodann steht dort der große Baukomplex des ehemaligen Franziskanerinnen-Klosters. Das war sogar noch bis 2018 "in Betrieb"; allerdings zuletzt mit nur noch drei Nonnen. Bereits seit 1948 beherbergt dieses Gebäude allerdings auch das Mindelheimer Heimatmuseum. Ansonsten informiert uns der Wikipedia-Eintrag noch: "Die 2010 gegründete Stiftung zum Heiligen Kreuz betreut den Klosterbau. Das geistliche Leben wird von Schwestern der Gemeinschaft von der erlösenden Liebe Christi e.V. [Homepage - br.] weitergeführt."

Die andere (südliche) Seite der "Gruftkapelle" mit ihrer Sonnenuhr, die genau 'High Noon' anzeigt:



Weiterhin gibt es in dieser (nordöstlichen) Stadtecke noch vier "Benefiziatenhäuser" (also wohl ehemalige Priesterhäuser) und das Pfarrheim der Pfarrgemeinde St. Stephan.

In einem Gebäude auf der Südseite (linke Seite des ersten Bildes) der Hauptstraße, die sich vom "oberen" (östlichen; hinter uns auf dem 1. Foto) zum "unteren" (westlichen; am Ende der Straße, aber auf den Fotos nicht sichtbar) Stadttor erstreckt, haben sich die "Maria-Ward-Schwestern" eingenistet. Auch dieser Orden ist dort (seit 2019) nicht mehr aktiv; aber einige Schwestern leben anscheinend noch im Ordensgebäude.

Ein sehr großer Baukomplex sind die Jesuitenkirche "Mariä Verkündigung" (mit großartigem Deckenschmuck: s. u.) und das daran anschließende ehemalige Jesuitenkolleg (also eine klerikale Kaderschmiede, heute Sitz von vier Museen: Carl-Millner-Galerie, Schwäbisches Krippenmuseum, Südschwäbisches Archäologiemuseum sowie das Textilmuseum Sandtnerstiftung).

Wir schauen uns erst noch ein wenig um; der sommerliche Himmel und die hellfarbenen Häuser versprühen eine Atmosphäre südlicher Heiterkeit:



Dann kehren wir zum Mittagessen beim Inder ein, im Maharaja.
Nach dem Essen (nun ja .....) geht es weiter durch die Maximilianstraße, zum Marktplatz (Marienplatz) und dem dortigen neugotischen Rathaus.

Wegen des ebenfalls roten Anstrichs, der historistischen Zierate und der Quadereinfassung des Eingangs usw. erinnert es mich sehr stark an das Kaufbeurener Rathaus, wurde jedoch von einem anderen Architekten (in derselben Epoche) erbaut:
 

In dieser zentralen Gegend leben auch die Störche, die natürlich einen ganz anderen Überblick über die Lage haben als unsereiner:




Bei diesem Foto, das einen Storch bei der Körperpflege zeigt, schauen Sie bitte diskret beiseite:


Eisdielen gibt es natürlich mehrere in bzw. am Rande der Altstadt (mindestens drei). 
Neben dem Eiscafé San Marco .....

..... das im gleißenden Sonnenlicht zu zerschmelzen droht .....


..... führt ein Gang zum Gastgarten. Dreht man sich um, bietet sich ein romantischer Blick auf die hölzernen Balkone auf der Rückseite der Häuser an der Maximilianstraße:


Noch einige Impressionen von der Bebauung der Maximilianstraße. Die ist wohl nicht gar so alt, wie sie sich den Anschein gibt, sondern großenteils wohl auch erst in der Gründerzeit entstanden (oder umgebaut worden). Aber jedenfalls erfreuen die abwechslunsreichen Häuser und Giebel das Auge:





Am Untertor weitet sich die Maximilianstraße zu einer platzartigen Anlage aus, die mir hier (nicht zuletzt des Wetters wegen) wie eine südländische Piazza erscheint:

Die Stadtbücherei (nicht auf dem Foto), die sich hier ebenfalls befindet und die ich mir natürlich auch von innen angeschaut habe, hat eine schön verschnörkelte Eingangstür:


Die zweite Geschäftsstraße, aber eine minderen Ranges, ist die Kornstraße, die am Markt von der Maximilianstraße nach Norden zum sog. "Einlasstor" abzweigt. Des große Geld ist hier wohl nicht zu machen; die (Geschäfts-)häuser sind eher ärmlich. Wenn man allerdings bei diesem Doppelhaus näher hinschaut (mit Rechtsklick in neuem Täb öffnen und vergrößern) entdeckt man unter dem hässlichen Einheitsputz Spuren von einstiger Bemalung. Wer wann und warum diese Gebäude derart verhunzt hat, und weshalb sie leerstehen, das wissen die Götter - ich weiß es leider nicht:

Doch tröstet uns auf der anderen Straßenseite ein Haus mit Heiligenschein😇 über diesen Schandfleck hinweg:

Auch bei diesem einstigen Werbe"schild" lohnt ein genaueres Hinsehen (auf den verschatteten Bereich): Es annoncierte einst einen Seifensieder.



Wenn man dass "Einlasstor" stadtauswärts durchschreitet, entdeckt man zur Linken das reizvolle bemalte Haus der Malerfamilie Schwank:



In dessen Hof (wo ich auch diese Blume geknipst habe) saß der jetzige Besitzer und gab mir freundlich Auskunft. Sein (mittlerweile verstorbener) Vater und er hätten diese Bemalung erstellt.

Zurück in der Kornstraße setzte ich mich zu meiner Frau, die sich dort vor einem italienischen Laden mit Kaffeeausschank bei einem Capuccino erholte. Gemeinsam gingen wir dann in die Maximilianstraße zurück und gelangten endlich in die "Jesuitenkirche" mit ihrer prachtvollen pastellfarben Deckenfreskierung:


Ganz anders, aber vielleicht noch ansprechender, ist die "Franz-Xaver-Kapelle" rechts von Chorraum stuckiert:



Bei der Kirche durchfließt ein Arm der Mindel die Stadt (vielleicht einst als Mühlbach). Wir verließen diese nunmehr durch das Untertor und überquerten die "richtige" Mindel. Auf einer kleinen Fußgängerbrücke verharrten wir, um den Augen eine Erholung zu gönnen. So, wie das Wasser auf diesen beiden Fotos erscheint, haben unseren Augen es freilich nicht gesehen: Da habe ich zwei winzige Bildausschitte herausgegriffen und mit ein wenig (simpler) Bildbearbeitung eine magische Undinenwelt herbeigezaubert:



Stichwort Zaubern: In diesem frommen Städtchen wütete einst ein teuflischer Zauber.
"In Mindelheim soll ein Metzger gelebt haben, der mit dem Teufel im Bunde stand. Wenn er zum Viehkauf im Allgäu unterwegs war, bezahlte er mit verzauberten Münzen. Wurde er zur Rede gestellt, musste er nur Kuhmist zu sich nehmen oder sich auf einen Misthaufen stellen, um unsichtbar zu werden. Das Sterben schließlich soll für den Metzger eine schier unendliche Qual gewesen sein: Sobald man den Pfarrer an sein Sterbebett holte, lag dort nur noch ein Holzscheit.
Sicherheitshalber sollte man also lieber nicht in Mindelheim sterben; das macht ohnehin in Lindau deutlich mehr Freude!

Die Kehrseite der Mindelheimer "Kunstmühle", heute ein Gasthaus und Hotel. ich vermute, dass der Name weniger mit "Kunst" i. S. von Malerei usw. zu tun hat, als vielmehr damit, dass die Mühle in ihrer letzten Betriebsphase vermutlich nicht mehr vom Wasser angetrieben wurde, sondern "künstlich", mittels Dampfmaschine oder Motor.

Unsere letzte Station in der Stadt war die Grünanlage "Schwesterngarten", wo wir uns noch einmal eine Ruhepause gönnten. Der Park ist schön angelegt; aber einige zusätzliche Bänke IM SCHATTEN wären schon wünschenswert. Denn die einzige dieser Art (sowie zwei auf einem kleinen Hügelchen) waren bereits besetzt.


Schon beim Fotografieren in der Altstadt hatte mich ein freundlicher Passant angesprochen und mir erzählt, dass es in der Stadt noch weitere Storchennester gebe. 
Eines davon haben wir auf dem Rückweg zum Bahnhof (gestärkt durch einen weiteren Eisbecher) tatsächlich in der Ferne gesichtet:



Es war ein schöner Tag, an den wir uns sicherlich noch lange erinnern werden.

Doch du, Leutkirch, wiege dich nicht in falscher Sicherheit: Auch du kommst noch als Kerbe auf meinen Coltgriff - und das wird gar nicht mehr lange dauern!😜



ceterum censeo 
Wer alle Immiggressoren der Welt in sein Land lässt, der ist nicht "weltoffen":
Der hat den A.... offen! 
Textstand vom 16.11.2020

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