Donnerstag, 10. Mai 2012

Das geheime Berlin: Beine, Burgen, Bärenbalkone

Nein, dass ist natürlich kein Taucher, der etwa den Grundwasserspiegel am Potsdamer Platz erreichen will: Giordano Bruno ist es, der hier - nicht die Hände im Gebet gen Himmel ausstreckt, sondern die Füße himmelwärts reckt (und der Fotograf hat die Belichtung um einiges dunkler eingestellt, als es in Wahrheit war)



Direkt vor der Zentrale der Deutschen Bahn AG könnte man darüber spekulieren, ob er den letzten Zug erreichen will; aber Giordano Bruno hat seine letzten Züge bekanntlich schon anno 1600 getan.

Folglich hat er auch mit Sex nichts mehr am Hut, und ohnehin lautet der vollständige Text von dem, was hier zwischen seinen Schenkeln erscheint, "Unisex".
 

Giordano Bruno hatte Pech, weil die Inquisition der katholischen Kirche diesen Heiden an die Hammelbeine kriegte; ich hatte Glück,weil ich Berlin sehen durfte. (Das ist freilich nur Recht und billig, denn schließlich hatte ich mich einst vehement für die Rückverlegung der deutschen Hauptstadt nach Berlin engagiert - vgl. Blott "Bonn oder Berlin? Die Hauptstadtfrage .....".)

Ein Blick vom Kulturforum nach Osten zeigt ein seltsames Leuchten an einer Hochhausfassade. Es war nicht die Sonne, die hier etwa Reflexe an den Fensterscheiben produziert hätte, vielmehr ging dieses Licht unregelmäßig an und aus. Aus diesem Grunde vermute ich, dass hier die Marsmenschen ihr irdisches Hauptquartier aufgeschlagen haben, von welchem aus sie Botschaften heim zu ihrem Planeten morsen.

Tatsächlich gelang es mir sogar, das marsianische Enigma zu dechiffrieren. Die Botschaft lautete: Hallo Heimat, hier in Berlin haben wir endlich eine Deckenspannerei gefunden!

In der Tat: In einem Hinterhof in der Auguststraße in Berlin Mitte, kurz vor der Einmündung in die Oranienburger Straße, betreibt eine freundliche ältere Dame namens Brigitte Schröder eine Wäscherei und Deckenspannerei. Nun können also auch die Bewohner fremder Planeten ihre Häkeldecken hierher bringen, denn solche Tischdecken, habe ich von Frau Schröder gelernt, werden nicht gebügelt, sondern eben gespannt. Und das war für mich sozusagen eine Information von einem fernen Planeten.
Die Inhaberin ist übrigens 74 Jahre alt (was man ihr nicht ansieht) und hatte ihr Geschäft (damals auch noch mit Gardinen) bereits zu DDR-Zeiten betrieben; sogar damals schon als Selbständige.
Wir haben nur wenige Hinterhöfe gesehen in Berlin, und die berühmten "Hackeschen Höfe" sind sicherlich nicht repräsentativ für jenes finstere Miljöh, wie man es von den Zeichnungen Heinrich Zilles kennt: Aber dieser Hinterhof - eben jener mit der Deckenspannerei - dürfte für die Berliner Mietskasernen [s. a. Wikipedia-Stichwort] der Zeit um 1900 typisch sein.

Auch eine feste Burg ist in Berlin, gleich hinter dem Theater des Westens in der Kantstraße. Da hat man doch gleich die Wohnung des Grafen Dracula für das Musical "Tanz der Vampire" neben dem Theater!

Berlin liebt die Kunst, und deshalb hat man das Haus in der Fasanenstr. Nr. 13 (in der Nähe des Theaters des Westens, und gegenüber dem jüdischen Gemeindehaus gelegen) mit Tierschädeln geschmückt und mit einem Kunst-Storch bekrönt:

Das Berliner Wappentier ist aber nun einmal der Bär, und auch der erscheint an diesem Haus, und gleich in Serie. Hier als Balkonbär,

und im Hauseingang gleich noch einmal:

Wo Tierschädel und Steinbären in Serie zu sehen ist, passt natürlich auch eine Ausstellung "Das Prinzip des Seriellen", mit Werken von Gerhard Richter (Galerie Springer + Winckler). Die war zum Zeitpunkt unseres Berlin-Besuchs aber leider schon geschlossen.

 Und auch zu Klingsors Zaubergarten hinter dem Haus wurde uns kein Zutritt zuteil.
 

Was blieb uns, kunstdurstig wie wir nun einmal waren, da anderes übrig als am "Tacheles" vorbeizuschauen, wo in der Oranienburger Straße die Kunst schon von der Straße aus zu sehen ist?


 Über dieses "selbstbestimmte, kollektive Kunst- und Veranstaltungszentrum in der Oranienburger Straße im Berliner Ortsteil Mitte" informieren u. a. das Wikipedia-Stichwort, die Homepage des Hauses und eine Reihe von Zeitungsartikeln, z. B.:
  • "Berliner Kulturlegende. Tacheles steht vor Räumung" taz 22.03.12 (dazu Kritik in einer Reihe von Leserkommentaren: "künstler? weltberühmt? eher ne Lachnummer und Skurrilitätenkabinett";   "So wie das Tacheles jetzt ist, kann es nicht bleiben. Ich fände ein Kunstatelierhaus auch wunderbar, aber doch nicht mit diesen Schrotthändlern. Die ganze Straße braucht nen Schub - irgendwohin";   "Endlich! Endlich wird der Saustall geräumt! Das ganze war weder ein 'linkes' Projekt, noch sonstwie 'altern[a]tiv' veranlagt, sondern einfach nur ein Hort peinlicher, extrem selbstbezogener Gestalten, von denen nicht ein Fünkchen Energie in die alternative Szene gegeben wurde und die aber auch wirklich alle Möglichkeiten ausließen, sich politisch aktiv resp. überhaupt interessiert zu zeigen. Eine Ansammlung von geldgeilen Billigheimern, die gerne Trash an Touristen verhökerten. Und nun dieses Gejaule von ein paar Nasen, die sich ohnehin mit jedem Mi[s]t 'solidarisieren' ohne nachzudenken";   "Das Tacheles Projekt ist wie das Gleichnis vom toten Pferd, von dem der Reiter nicht absteigen möchte".);
  • "Kunsthaus Tacheles. Eine Idee geht auf Reisen": "Mit mobilen Ateliers wollen Tacheles-Künstler neue Freiräume und ein Netzwerk für die Szene schaffen." taz. 15.04.12
  • "Danke Berlin - 5 OG. muss an Tacheles zurückgegeben werden, Anwälte der Investoren verlieren vor Gericht", Blog Kritikdesign 26.04.12
  • "Unterstützer des Tacheles demonstrieren gegen Schließung" WELT 02.05.12
  • Interview der Berliner Zeitung vom 08.05.12 mit der Band Mia (die ein Album u. d. T. "Tacheles" herausgebracht hatte) "Die komplette Härte des Lebens". Darin Andy sehr realistisch (meine Hervorhebung): "Ich verstehe die Ängste, dass man einen Klub oder einen Proberaum hat, dann wird das Haus gekauft, saniert, die Mieten so hoch gezogen, dass man dort nicht mehr seine Kunst machen kann... Aber das liegt nicht an irgendwelchen doofen Leuten, sondern an dem System, in dem wir leben. Wenn man dann sagt 'dieses Verdrängen ist Scheiße, aber alles andere von diesem System wollen wir trotzdem haben', dann finde ich das inkonsequent."
 Diese Titelseite des Tagesspiegels vom 19.04.2012 hatte ich eigentlich deshalb fotografiert, weil ich mich darüber gewundert hatte, dass die Zeitung [genauso ist es übrigens bei der Berliner Zeitung, und vermutlich noch weiteren] in Berlin und Brandenburg (etwas) billiger ist als anderswo ("auswärts").
Aber auf das schöne Aufmacherfoto wollte ich natürlich auch nicht verzichten, und der Bericht "Flammender Appell" über einen "Art War" des Direktors des Museums für zeitgenössische Kunst in Casoria bei Neapel ("Contemporary Art Museum", CAM). Der verbrennt Kunstwerke als Protest gegen die mangelnde finanzielle Unterstützung des Museums durch den (italienischen) Staat. [Dazu meine Anmerkung: Casoria ist eine Stadt mit ca. 80.000 Einwohnern und liegt in Kampanien, also im Mezzogiorno, dem relativ armen Süden Italiens. Dass der Steuerzahler - egal auf welcher staatlichen Ebene - für eine derartige Kleinstadt ein Museum für moderne Kunst finanzieren soll, ist für mich eine ziemliche Anmaßung. Tatsächlich handelt es sich um eine private Gründung; dafür jetzt Staatsknete erpressen zu wollen, halte ich für einigermaßen unverschämt. Soll der Museumsdirektor die Bilder doch verkaufen, statt sie abzufackeln!]

Die Tacheles-Künstler ("Künstler"?) haben die italienische Aktion sogleich kopiert, was den Spiegel am 27.04.12 titeln ließ: "Protest in Berlin. Bilder verbrennen!? Klar, das Tacheles ist dabei". Und wie immer bei solchen Aktionen nehmen sich die Künstler wichtiger als sie sind, und geben vor allem die eigenen Interessen für solche der Gesellschaft insgesamt aus: "Die postdemokratischen Entwicklungen unserer Tage wollen wir mit dem Vernichten unserer eigenen Arbeiten stoppen. Wir fördern das politisch / wirtschaftliche Abenteurertum nicht weiter durch, in prekären menschenunwürdigen Verhältnissen geschaffene, Inhalte. Für eine Faustrechtgesellschaft machen wir keine Kunst - das Verschachern der Demokratie muss aufhören - Herr Monti, Frau Merkel, Herr Wowereit sie haben die Pflicht, noch mehr sozialen Unfrieden zu verhindern! Der Aufstand der Kreativen hat begonnen. Unsere Bilder brennen, weil die Stadt Berlin das Gelände am Tacheles selbst entwickeln muss. Die privaten Investoren haben versagt, sie richten auch weiterhin großen Schaden an. Berlin darf seine Chance, das Areal am Tacheles günstig zu erwerben und ein profitables Projekt zur Finanzierung der Stadt zu entwickeln, nicht am Scheiterhaufen der Immobilienspekulation verbrennen." (Blog "Kritikdesign" vom 22.04.12; Titel: "CAM art war - Bilderverbrennung zu Berlin– Il rogo dell’Arte a Berlino" ["Der Brand/Scheiterhaufen der Kunst in Berlin"].
Auch die BZ berichtete, am 27.04.12, über den Vorgang: "Künstler-Haus Tacheles: Kunst aus Protest abgefackelt".

Also die übliche Leier, wie wir sie im größeren Maßstab ja auch von den Griechen kennen:
'Only money for me will save democracy!'
Da möchte man doch glatt zum fauchenden Löwen (noch so'n Steintier von der Fasanenstr. 13) werden:


Und für die deutschen Staatsfinanzen hilft sowieso nur noch Beten; am schönsten in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche:

... oder die Säulen hochklettern:

 

 Die Grünen wollen noch mehr von unserem Geld für die ach so notleidenden Südeuropäer raushauen ...

... da kommt bald der Sonnenuntergang für die blühenden deutschen Landschaften


 Schluss nun auch für mich, mit meinen Berlin-Blogs. Neun lange Blog-Einträge für 9 volle Aufenthaltstage in Berlin: das reicht denn ja auch, nicht wahr?

Aber halt, bevor ich schließe, muss ich Ihnen doch unbedingt noch das völlig unbekannte Denkmal für den berühmten Berliner Turnvater Jahn zeigen (auf der Straße "Sachsendamm" am Bahnhof Südkreuzi m Vorbeifahren vom Bus M46 geknipst). Es heißt "Gymnmasten" und, wie moderne Kunst halt so ist, abstrahiert es natürlich.
Deshalb sehen die Gymnastiker auch nicht so aus, wie Sie erwartet haben, sondern so, wie auf diesem Foto abgebildet:

Und wenn Sie dieser glaubwürdigen Information von mir kein Vertrauen schenken: dann denken Sie sich gefälligst selber einen Titel aus für dieses Foto; Sie werden schon sehen, was Sie davon haben!


Hier eine Übersicht meiner 9 Berlin-Bild-Blotts (in chronologischer Reihenfolge):
  1. Zur Britzer Baumblüte in Berlin 
  2.  Berlin von bayerischen Beobachtern observiert
  3.  Erholungsurlaub auf der (Kunst-)Studienreise: Im Botanischen Garten Berlin
  4.  Kunstreise zur Gemälde-Ausstellung "Gerhard Richter. Panorama" in der Neuen Nationalgalerie Berlin 
  5.  Wie die Berliner erleuchtet werden: Von Gaslaternen und anderen Straßenleuchten
  6. Gartenbilder von Emil Nolde und Max Liebermann in der Liebermann-Villa am Wannsee
  7.  In Berlin ist mordsmäßig was los. Manchmal leider im Wortsinne.
  8. Kunstmuseen in Berlin: Am Rande der Vernunft (Kupferstichkabinett), Surreale Welten (Sammlung Scharf-Gerstenberg), Museum für Gegenwart (Hamburger Bahnhof), Neue Nationalgalerie (Kulturforum), Alte Nationalgalerie (Museumsinsel) und schließlich der vorliegende:
  9. Das geheime Berlin: Beine, Burgen, Bärenbalkone



 Textstand vom 10.05.2012. Fotos können durch Anklicken vergrößert werden.

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