"Der Rest der Ruine Frauenstein ist enttäuschend, aber der Weg um den Berzenkopf ist abenteuerlich."
Dennoch wollte ich die Stelle autopsieren, also selbst in Augenschein nehmen.
Hohe Erwartungen an die 'Burgruine Frauenstein' hegten wir von vornherein nicht. Wir wussten, dass es sich um einen sogenannten "Burgstall" handelt und dass die Wikipedia Recht hat, wenn sie über derartige Stellen schreibt:
"In der Regel sind nur noch Bodenformen wie Gräben oder Erdwälle oberirdisch erkennbar. Das heißt, dass Burgställe nur noch als Geländeunebenheiten oder gar nur in Luftbildaufnahmen erkennbar sind."
In der Tat ist auch beim Burgstall Frauenstein (hier der Wikipedia-Eintrag dazu) nur mehr ein Graben zu erkennen; der allerdings noch sehr gut:
Es handelt sich um einen "Halsgraben", wie ihn meine Leserinnen und Leser bereits vom Hohen Schloss in Füssen kennen, also einen Graben, der nur an einer Seite die Burg von einem Bergrücken abtrennt, während zu den anderen Seiten hin das Gelände ("Berzenkopf" heißt dieser Bergrücken, auf dessen letztem Ausläufer auch das Schloss Hohenschwangau steht) so steil abfällt, dass kein Graben erforderlich ist.
Ein Gedenkstein, 1852 von König Maximilian II. von Bayern hier errichtet, erinnert an die abgegangene Burg:
Ästhetische Gründe waren ganz gewiss nicht ausschlaggebend für die Wahl des Bauortes, und die alten Rittersleut' werden auch nicht allzu viel Sinn für die Schönheit des Ortes gehabt haben (zumal die Schwangauer teilweise Raubritter waren).
Wir Heutigen genießen die Aussicht auf den Alpsee südlich der Burganlage, auch wenn man im Winter ohne Belaubung sicherlich mehr sieht (auch die Alpenberge im Westen sowie Schloss Neuschwanstein im Osten, das in der Vegetationsperiode durch das Laub der Bäume kaum sichtbar ist):
Etwas weiter gehend (der Wikipdia-Eintrag schätzt die Entfernung auf 250 m) entdecken wir eine Anlage, die an sich zwar bekannt ist, deren Funktion und Alter aber bisher anscheinend unbekannt waren. Ich nenne sie (und werde das unten begründen) "Marienlust". Im Wikipedia-Eintrag zum Burgstall Frauenstein erfahren wir über diese Stelle:
"Etwa 250 m südlich der Kernburg sind auf einer Geländekuppe die Fundamente eines rechteckigen Gebäudes erkennbar. Diese Mauerzüge müssen nicht zwangsläufig in Zusammenhang mit der Burganlage stehen."
Steine von unregelmäßiger Größe sind hier nach Art einer Trockenmauer (also ohne Mörtel) aufgeschichtet:
Hier am Eingang zu der Anlage kann man erahnen, wie die Struktur insgesamt aussieht: Es handelt sich nicht um ein Fundament, sondern um ein niedriges Mäuerchen, das sich rings um eine Geländekuppe zieht und diese zu einem Plateau einebnet bzw. erweitert.
Wer hätte wozu ein solches Gebilde gebrauchen können? Um eine Burg, bzw. ein zur Burg Frauenstein (außerhalb) gehörendes Gebäude, handelt es sich mit Sicherheit nicht. Die Mauer umgibt eine relativ große Fläche: was hätten die Schwangauer Rittersleut mit einem derart großen Gebäude dort oben anfangen sollen? Ein Vorratslager außerhalb der Burg wäre nicht sinnvoll; um einen Hof zur Bewirtschaftung kann es sich nicht gehandelt haben: hier auf dem Berg wurde sicherlich kein Ackerbau betrieben. Vor allem wäre diese Mauer auch gar nicht stabil genug, um ein Dach zu tragen und wenn sie früher einmal höher gewesen wäre (was man bei der Annahme eines Gebäudes ja unterstellen müsste), wäre sie kaum derart gleichmäßig abgetragen worden oder zerfallen, dass sie sich noch heute in gleicher Höhe (bis auf den Eingang, wo es entweder keine Mauer gab oder - wahrscheinlicher - diese zerstört wurde) um die Hügelkuppe herumziehen und diese als Plateau einebnen würde. Ohnehin war die Burg Frauenstein schon vor 500 Jahren verlassen und verfallen; ein Mäuerchen wie das oben gezeigte wäre in dieser Zeit längst von Laub und Humus bedeckt und von Pflanzen überwuchert.
Des Rätsels Lösung muss in der herrlichen Aussicht liegen, die man von hier aus nach Westen auf die österreichischen und Allgäuer Alpen genießt (diese Bilder sind allerdings Zoomaufnahmen, "sehen" also etwas anders als die bloßen Augen).
Auch den Alpsee sieht man von hier aus, und im Winter, wenn die Bäume keine Blätter tragen, zweifellos auch Neuschwanstein, vielleicht Hohenschwangau, den Tegelberg usw. (den Schwansee nicht).
Ich vermute, dass dieses Winterfoto aus der Wikipedia jenen 'Gipfel' zeigt, auf dem die 'Marienlust' errichtet wurde. (Die Burg Frauenstein läge dann weiter hinten und etwas niedriger. Bei Errichtung der Burg im Hochmittelalter gab es ja noch keine Artillerie; die etwas niedrigere Lage gegenüber dem - außerdem hinreichend weit entfernten - höchsten 'Gipfel' war also kein Problem. Wesentlich für einen Burgplatz war die natürliche Verteidigungsfähigkeit des Geländes, d. h. ein Steilabfall des Terrains auf möglichst vielen Seiten. Die ist bei der 'Marienlust' nicht gegeben, wohl aber am Ort des Burgstalls.)
Es ist schwer vorstellbar dass eine begeisterte Bergsteigerin wie die Königin Marie von Bayern sich eine solche Aussicht hat entgehen lassen. Natürlich ging es hier nicht um eine Bergbesteigung, sondern um "Picknicks" nicht nur der Königin (und des Königs, bzw. vor der Krönung Maximilians des Kronprinzen und der Kronprinzessin), sondern einer recht umfangreichen Hofgesellschaft. Die haben sich zwar nicht auf Decken gelagert, wie wir das heute bei einem Picknick tun würden. Dass man aber z. B. eine Kaffeetafel im Freien auch damals schon zu schätzen wusste, dokumentiert z. B. diese Aufnahme des Wittelsbacher Hoffotografen Josef Albert.
Die "Marienlust" liegt nicht weit entfernt vom Schloss Hohenschwangau. Die Angehörigen des Hofes konnten die Stelle leicht zu Fuß erreichen; die Diener (sicher nicht ohne Mühe, aber das wurde damals zweifellos von ihnen erwartet) konnten auch Tische, Geschirr usw. mit einem vertretbaren Aufwand vom Schloss hierher schaffen. Das künstlich vergrößerte Gipfelplateau ist groß genug, um auch eine größere Hofgesellschaft aufzunehmen; auch von daher ist meine Deutung plausibel.
Die ganze Anlage ist zu aufwändig, als dass man sie beispielsweise für ein von einer Pfadfindergruppe bei einer Ferienfreizeit geschaffenes Werk halten könnte. Sie ist aber andererseits nicht so komplex und kostspielig, dass sie die Finanzen der königlichen (bzw. vorher kronprinzlichen) Familie überfordert hätte. Denkbar wäre, dass Maximilian dieses 'Picknickplateau' nach seiner Krönung in Auftrag gegeben hat, vielleicht sogar im Zusammenhang mit der Aufstellung des oben gezeigten Gedenksteins für den Burgstall Frauenstein im Jahr 1852.
Teurer als der Bau des Alpenrosenweges war sie mit Sicherheit nicht, und den hat, wie z. B. hier zu lesen ist, König Maximilian 1850 für seine Frau anlegen lassen. Auch hier ging es nicht um Bergsteigen - der Weg ist beinahe tischeben -, sondern um den Genuss der Aussicht, in diesem Falle auf den Schwansee (und um die angepflanzten Alpenrosen).
Wenn Maximilian II. das Plateau für 'Lustaufenthalte' (wie man damals wohl sagte) der Hofgesellschaft hat herrichten lassen, dürfte er das ebenfalls mehr für seine Frau als für sich selbst getan haben; daher erscheint eine Benennung mit dem Namen "Marienlust" angebrachter als z. B. "Maximilianslust".
Verlockender ist es, einen Bezug zu König Ludwig herzustellen. Von dem wissen wir immerhin, dass er häufig "seinen Arbeitsplatz kurzerhand in die Natur verlagerte". Da aber der Märchenkönig soziophob war, also ungern Menschen um sich hatte, wird er kaum der Erbauer dieser Anlage gewesen sein. Indes dürfte auch er als Kind bei den Aufenthalten auf diesem Plateau dabei gewesen sein. Vielleicht hat er es sogar später als König bei seinen Aufenthalten im Schloss Hohenschwangau noch gelegentlich genutzt. Wem das ein Bedürfnis ist, der kann sich den Ort auch gern als "Ludwigslust" vorstellen. (Mit der Stadt bzw. dem Schloss Ludwigslust in Mecklenburg-Vorpommern besteht aber keinerlei Zusammenhang.)
Diese (durch mehrfaches Anklicken stark vergrößerbare) um das Jahr 1865 entstandene Aufnahme des Hoffotografen Joseph Albert zeigt das Schloss Hohenschwangau von Westen, also von einem etwas höheren Standpunkt (vom Burgstall Frauenstein?) auf dem Berzenkopfrücken. Dieser war zwar bewaldet, doch hatte man möglicher Weise Sichtachsen belassen oder geschaffen.
Hohenschwangau und der Bergbuckel dahinter sind auf dieser von Osten aufgenommenen Fotografie (ebenfalls vom Hofphotographen Joseph Albert) aus dem Jahr 1857 sehr gut zu sehen (vergrößern!). Man sieht auch, dass der Berg bewaldet ist, was meiner Interpretation von einer Aussichtsplattform widersprechen könnte. Andererseits scheint aber der Baumbewuchs deutlich schütterer zu sein als heute, so dass man wohl doch eine gute Aussicht hatte.
Letztlich müsste man die einschlägige Literatur über Ludwig & Co. durchforsten, um (hoffentlich) Klarheit zu schaffen. Dafür bzw. dazu habe ich weder Zeit noch Lust.
Daher apelliere ich an evtl. sachkundige Leserinnen und Leser, ihre eventuellen einschlägigen Kenntnisse zur Lösung des Rätsels einzubringen.
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Über unserer Knipserei war es zu spät geworden, um auf dem Alpenrosenweg nach Füssen zu laufen und dort, wie wir es geplant hatten, Mittag zu essen. Wir stiegen also über den sog. "Fischersteig" hinab zum Schwanensee.
Der Fischersteig ist ein gut begangener Wanderweg, ein regelrechter 'Wanderhighway'. Wie eine Passtraße schlängeln sich seine Serpentinen den Berg hinunter (für uns) bzw. für die anscheinend meist vom Schwansee kommenden Wanderer den Berg hinauf:
Belohnt werden wir mit ständigen Ausblicken durch das Blattwerk auf den See, weit mehr aber dann unten mit dem Anblick eines Seerosenteichs:
Weniger lohnend, aber immerhin essbar (und preiswert) war unser anschließendes Mittagessen im Restaurant ASIA im Schwangauer Ortsteil Alterschrofen. Original asiatische Atmosphäre vermittelten die Reisegruppen, die sozusagen 'im Schichtwechsel' hier essen kamen.
Von dort sind wir anschließend nach Füssen gelaufen, um zwei neu eröffnete Sehenswürdigkeiten im Hohen Schloss anzuschauen. Darüber mehr im nächsten Blott.
Textstand vom 22.06.2011
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