Freitag, 7. Januar 2011

St. Coloman in Schwangau ist wunderschön, und in unverbaubarer Alleinlage inmitten von Wiesen gelegen. Die Wieskirche ist sie jedoch nicht.

Unsere Kirchenführerin [das Gebäude ist nur zu Gottesdiensten und bei Führungen geöffnet; schon früher, am 06.11.1733, hatte, wie ich dem (äußerst materialreichen) Buch "Kunstwanderungen im Ostallgäu"  (S. 222; hier der Link zur Verlagswebseite) entnehme, ein "Erzbösewicht" einige Wertgegenstände aus der Kirche geraubt] hielt eine Verwechslunsgefahr zwischen St. Coloman* und der Wieskirche offenbar (aus Erfahrung?) für real, denn sie wies uns Besucher ausdrücklich auf den Unterschied hin.
[*Zur Schreibweise: Neben der offiziellen Bezeichnung mit "C" begegnet man häufig auch der Variante "St. Koloman".]

Eine ganze Reihe von Reisenden war am Montag, 27.12.10, zu der Pilgerkirche gepilgert,
um nicht die Besichtigungsmöglichkeit um 14.00 h zu versäumen (zu dieser Jahreszeit finden Führungen anscheinend etwa einmal in der Woche statt) :


Schon von weitem bietet sie vor dem Hintergrund der Alpen einen eindrucksvollen Anblick:



Drinnen indes drohte ich mich zum Heiligen zu entwickeln. Noch bin ich keiner (wer's dennoch glaubt, möge sich im Ökumenischen Heiligenlexikon von seinem Aberglauben kurieren lassen), doch habe ich in der Kolomanskirche eine zumindest für antike Heilige beinahe unverzichtbare, und selbst heute noch für eine Erhebung zur Ehre der Altäre nützliche, Qualifikation für die Heiligsprechung erfüllt: ein durchlittenes Martyrium. Eiskalt war es nämlich in "St. Coloman im freien Feld bei Schwangau", während wir in den Kirchenbänken sitzend den Worten der Kirchenführerin lauschten.
Zugleich hat sich dabei schon ein erstes Wunder ereignet: Ich habe überlebt. Das freilich dürfte, andererseits, meinem Heiligenstatus eher abträglich sein.
Wie auch immer: wenn man im Innenraum der Kirche steht, und einen Fotoapparat dabei hat, und den herrlichen Stuck-Schmuck fotografiert, erwärmen sich auf wunderbare Weise sogar die halb erfrorenen Fingerglieder.

Aufnahmen aus dem Innenraum findet man, bzw. fand zumindest ich, im Internet erstaunlich selten (nicht einmal in den Wikimedia Commons). Hier dominieren nicht die Farben, wie in der Wieskirche, sondern die Formen der monochromen Stuckdekoration (zum Hauptaltar hin wird's dann allerdings bunter). Man könnte sogar sagen, dass die Innenansicht der Colomanskirche eine Art Erholung für die von der Pracht der Wieskirchen-Ausstattung geblendeten Augen bietet, aber mir gefällt die eine wie die andere.
In der Außenansicht finde ich, Kunstbanause der ich nun einmal bin, St. Coloman sogar irgendwie "kirchlicher" als die "Wallfahrtskirche zum Gegeißelten Heiland auf der Wies" (wie der offizielle Name der Wieskirche lautet). Der Baukörper ist geschlossener, und das Verhältnis zwischen der Höhe des Kirchturms und dem Hauptschiff erscheint mir weitaus proportionierter; da dürfte beim Bau der Wies wohl das Geld ausgegangen sein.



Nun aber die verheißenen Innenraum-Aufnahmen von St. Coloman.


Blick nach Westen aus dem Chor ins Kirchenschiff


Die Orgelempore



 Die Südwand des Kirchenschiffs von innen


Blick nach Osten ins Gewölbe des Hauptschiffs und des Chorraumes



Wie auch bei der Wieskirche ist der Chor noch üppiger dekoriert als die anderen Räume der Kirchengebäude


Der Chorschluss mit dem oberen Teil des Altars


Ein Engel streckt triumphierend den Märtyrerkranz (die Märtyrerkrone) aus (oder überreicht er ihn einem imaginären heiligen Coloman?)
Laien werden das Gebilde in der linken Hand dieser Engelsfigur wahrscheinlich als Palmwedel, gleichfalls ein Insignium der Märtyrer, ansprechen. Fachleute freilich, zu denen Sie selbstverständlich auch den Blogmeister zählen dürfen, wissen es besser:
Es handelt sich vielmehr um die Feder einer auf Erden ausgestorbenen Tierart. Mit dieser wird im Himmel der Engel Aloisius (jener Münchener also, der aus dem Jenseits der Bayerischen Staatsregierung göttlichen Rat übermitteln sollte, jedoch unterwegs versackte) gekitzelt, wenn er auf seiner Wolke wieder einmal das vorgeschriebene Frohlocken unterlassen hat. Das Symbol erinnert die Gläubigen also an die ihnen ggf. zugedachten himmlischen Frohlockensfreuden.


Nahaufnahme einer der Ädikula-Aufbauten über den beiden Seitenaltären



Die ganz große Überraschung - und etwas, was der Gottesdienstbesucher nicht zu sehen bekommt - war die lichtdurchflutete Sakristei, mit ihrem heiteren Deckenschmuck


Hier ein Ausschnitt herangezoomt


In einer Wallfahrtskirche dürfen natürlich die Votivbilder nicht fehlen, die auch heute noch als Dank für erhörte Gebete gestiftet, aber natürlich nur in einer kleinen Auswahl im Kirchenraum aufgehängt werden (können):


Wir blicken noch einmal zur Decke empor auf zwei Putten (tutti Putti, könnte man hier sagen) ...





... ehe wir bildungsbeflissen an der Außenmauer die Erbauungsdaten zu memorieren versuchen

Ausführlich berichtet die Webseite der Gemeinde Schwangau über die Baugeschichte. Dort erfahren wir auch, dass die "Pest- und Wallfahrtskirche zum heiligen Coloman im Felde“ im (oder bis zum) Jahre 2002 restauriert worden war.





Nachtrag 08.01.11
Nicht erst seit meinem eigenen Martyrium (s. o.) treibt mich die Frage nach der martyrologischen Qualität des Leidensweges des Hr. Koloman um. In der Antike waren die Märtyrer ja Blutzeugen für ihren Glauben gewesen, die sich lieber zu Tode foltern bzw. verurteilen ließen, als ihrer christlichen Religion abzuschwören. Sie unterwarfen sich also der unfreundlichen Behandlung durch ihre Peiniger in gewissem Sinne freiwillig: hätten sie einfach ihrem Christentum abgeschworen, hätte man sie freigelassen. (Ich habe keine Zweifel, dass es solche Fälle gegeben hat; Ähnliches haben wir ja auch in unserer Zeit erlebt, wo z. B. Jehovas Zeugen sich lieber in Konzentrationslager einsperren ließen, als Kriegsdienst zu leisten.)
Koloman dagegen wurde auf seiner Pilgerfahrt als Spion betrachtet und damit eigentlich nur wegen eines Missverständnisses hingerichtet. Er ist insofern kein "Blutzeuge", als er nicht um seines Glaubens willen getötet wurde. Mir erschien daher sein Heiligenstatus unzureichend begründet. Bei anderen Heiligen, dem Brückenheiligen Johannes von Nepomuk, haben sich die Legendenfabrikanten größere Mühe gegeben. Tatsächlich wurde er vom böhmischen König Wenzel wegen eines Interessenkonfliktes zwischen Staat und Kirche zu Tode gefoltert (oder weil er den König kritisiert hatte). Das passierte im Jahre 1393. Erst später (lt. dieser "Webseite des Heiligen Nepomuk" nach 1449) wurde behauptet, dass er gefoltert worden sei, um ihm Informationen zu entlocken, welche die Königin ihm bei der Beichte anvertraut habe. (Die enorme zeitliche Differenz zwischen dem Todesdatum und dem Aufkommen von Stories um das Beichtgeheimnis hindert die Webseite des Heiligen Nepomuk natürlich nicht daran zu behaupten: "Vieles deutet aber darauf hin, dass gerade die Wahrung des Beichtgeheimnisses Ursache des riesigen Hasses war"). Jedenfalls haben wir hier (in der Legende) einen klaren Kausalzusammenhang zwischen religiös motivierter Standhaftigkeit (der Glaube selbst war zu dieser Zeit der "ecclesia triumphans" natürlich unumstritten und somit - außer allenfalls bei der Auseinandersetzung mit Ungläubigen oder Ketzern - kein direkter Grund zum Martyrium) und Märtyrertod. Den Legendenfabrikanten erschien es offenkundig unzureichend, dass Nepomuk bloß als standhafter Vertreter klerikaler Verwaltungsinteressen zu Tode kam.

Bei meinen Internet-Recherchen zu St. Koloman entdeckte ich Widersprüchliches bezüglich dessen Heiligkeit.
Im Ökumenischen Heiligenlexikon ist nämlich zu lesen: "Koloman wurde nie offiziell heiliggesprochen". Das macht im Hinblick auf die o. a. Überlegungen auch Sinn. Selbst wenn sein Leichnam nach über einem Jahr noch unverwest an jenem Baum hing, wo man ihn aufgehängt hatte (Kopfschüttel: Bräuche waren das damals wie im Wilden Westen!), und Wunder bewirkte, war halt der Kausalzusammenhang zwischen Glaube und Tötung nur ein sehr vermittelter. Es waren ja nicht einmal Heiden, die ihn auf seinem Pilgerweg zum Heiligen Grab umbrachten, sondern Christenmenschen, die lediglich ihren Irrtum bezüglich seiner Identität nicht einsehen wollten.
oloman wurde nie offiziell heiliggesprochen
 Der Wikipedia-Eintrag bezeichnet Koloman jedoch als Heiligen, und ebenso das Biographisch-Bibliographische Kirchenlexikon.
Auf der Webseite der Gemeindeverwaltung Schwangau heißt es dagegen: "Eine förmliche Heiligsprechung verfügte Papst Innozenz IV. im Jahre 1245." Diese Behauptung dürfte falsch sein. Otfried Krafft schreibt dazu in seinem 2005 erschienenen Buch "Papsturkunde und Heiligsprechung" (Hervorhebungen von mir): 

"Eine weitere Besonderheit findet sich im Fall des Märtyrers Koloman von Melk. Innocenz IV. befahl dem Bischof von Passau die Einführung des Festes in Österreich und den angrenzenden Provinzen. Dies geschah jedoch unter der Bedingung, daß sich Belege für eine frühere päpstliche Kanonisation finden ließen,19 von welcher zumindest heute nichts bekannt ist. In der Literatur ist außerdem von einer angeblichen Heiligsprechung des Albert von Genua durch Innocenz IV. die Rede.20" 
In den Fußnoten 19 und 20 schreibt Krafft:
19 Cum sicut ex, 1244 V 10. P. 11379: Berger. Registres I 114 Nr. 673; beste Edition bei Lenzenweger. Entwicklung 323. der. ebd. 312 f.. diesen auf die Aktivitäten Herzog Friedrichs II. von Österreich zurückgehenden Vorgang bespricht. Dieser fand 1245 darin eine Fortsetzung, daß Innocenz von einigen österreichischen Äbten Erkundigungen über die Pläne des Herzogs einholen ließ, den Leichnam Kolomans an den Sitz eines neuzugründenden österreichischen Bistums zu überführen, vgl. ebd. 324; Berger. ebd. I 172 Nr. 1102.
 20: R. Trilhe: Albert de Genes, in: DHGE 1 (1912), Sp. 1439-1440; er verweist auf Ughelli. Italia sacra IV (1719) 851. Die Heiligsprechung soll demnach 1244 stattgefunden haben, ohne daß dazu weitere Belege existieren. — Als noch unwahrscheinlicher muß die Kanonisation des Märtyrers Gerold auf Betreiben Cremonas gelten, die ebenfalls unter Innocenz IV. stattgefunden haben soll: vgl. die Kritik dieser Ansicht in den AA SS Okt. III 959 § 26 f.
Dass ich diese Information  der Google-Büchersuche verdanke veranlasst mich zu der Bemerkung: "Google ist das Licht der Welt, welches die Finsternis interessengeleiteter Sachverhaltsdarstellungen vertreibt". (Wenn ich mir mit dieser Bemerkung auch die allerletzte Chance auf eine spätere Kanonisierung verscherzt haben sollte, wäre das bedauerlich; ich könnte mich dann nur noch mit dem Gedanken trösten, ein Märtyrer der Wahrhaftigkeit zu sein.)
Zusammenfassend stelle ich fest: "St." Koloman (Coloman) ist KEIN Heiliger (und war auch nie ein solcher) im (katholisch-) kirchenrechtlichen Sinne!


Nachtrag 12.04.11.
Eine wunderschöne Außenaufnahme (im Winter) von St. Coloman finde ich gerade  in dem ziemlich neuen (seit Januar 2011) Blog "Landurlaub Schwangau", der thematisch wohl das gleiche Feld beackert wie mein Schwanbürger. Betrieben wird er von Michael und Margit Kiefer vom "Ferienhaus Kiefer" in dem Schwangauer Ortsteil Waltenhofen.






A few remarks (not a translation of my musings above) for any haphazard  English speaking visitors:

The photos above show (most of them) the interior of the pilgrimage church St. Coloman (sometimes also spelled "St. Koloman") in Schwangau / Bavaria / Germany. The village is more famous for its castles Hohenschwangau (this also being the name of a hamlet now incorporated into the village of Schwangau) and, above all, Neuschwanstein.
The church is, even though Roman Catholic, normally closed and open only for religious services and guided tours. So you might not get (or have gotten) a chance to see the lovely interior on your tour to the royal bavarian castles and hence appreciate seeing at least some pictures here. (Opening the photographies with a right-klick in a separate tab or window will show a larger version.)

More famous than St. Coloman is another pilgrimage church not far away, the Wieskirche (officially: "Pilgrimage Church of the Scourged Saviour"), which even has its own website (and is distinguished by the UNESCO classification as belonging to the World Heritage). If you get to the area, don't miss it. Seeing the splendour of the roccoco decoration inside on photos after your tour, you might regret not having taken the time for a trip to Steingaden municipality. (And if you make it there, do not omit a visit to Steingaden Abbey, with another lavishly decorated church.)




Textstand vom 11.06.2011

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